Gelehrtes Wissen: Die Handhabung sozialer Praxis im akademischen Lehrbuch 1450-1650 / Scholarly Knowledge: The Transmission of Social Practice in Academic Textbooks 1450-1650

Gelehrtes Wissen: Die Handhabung sozialer Praxis im akademischen Lehrbuch 1450-1650 / Scholarly Knowledge: The Transmission of Social Practice in Academic Textbooks 1450-1650

Organisatoren
Pädagogisches Institut der Universität Zürich; Institut für schweizerische Reformationsgeschichte der Universität Zürich; Institut für Historische Bildungsforschung Pestalozzianum der Pädagogischen Hochschule Zürich
Ort
Zürich
Land
Switzerland
Vom - Bis
11.12.2005 - 14.12.2005
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Von
Anja-Silvia Göing (Zürich) / Simone de Angelis (Bern)

Das Pädagogische Institut der Universität Zürich veranstaltete zusammen mit dem Institut für schweizerische Reformationsgeschichte der Universität Zürich und dem Institut für Historische Bildungsforschung Pestalozzianum der Pädagogischen Hochschule Zürich vom 11. – 14. 12. 2005 eine internationale Tagung zum akademischen Lehrbuch am Beginn der Frühen Neuzeit. Die Referenten boten mit ihren je exemplarischen Analysen einen Querschnitt durch die Palette akademischer Disziplinen, eingeteilt hier in Artes Liberales und Philosophie auf der einen und Theologie, Medizin und Jurisprudenz auf der anderen Seite. Eingerahmt wurde die Veranstaltung durch zwei Hauptvorträge: AnnBlair (Harvard University, History) sprach über die Praxis studentischer Mitschriften in der Frühen Neuzeit („Early modern note taking practice“) und AnthonyT. Grafton (Princeton University, History) erläuterte Konzepte der Zeitorganisation und ihre Visualisierung im akademischen Kontext („Chronology and academic thinking“).

Die Vorträge konzentrierten sich im Wesentlichen auf zwei Problemstellungen der sozialen Praxis: Zum einen ging es konkret um strukturell-formale Funktionen des Lehrbuchs: Lehren und Lernen. Nach grundsätzlichen Überlegungen zu seiner formalen Gestaltung und der Begrenzung der Gattung wurde das Lehrbuch entweder als Ergebnis eines Lehr-Lern-Prozesses, als Teil der Lehre, oder drittens, als Anwendung einer lerntheoretischen Aussage verstanden. Das Lehrbuch wurde hier in seiner Eigenschaft als Dokument oder als Träger von (handschriftlichen) Dokumenten betrachtet. Zum zweiten ging es um Inhalte: Wie werden Wissensinhalte dargestellt und vermittelt; welche Wissens- und Lehransprüche etc. werden damit verbunden? Was für eine Art von Wissen – vor der sogenannten „wissenschaftlichen Revolution“ – ist das? Hier wurde insbesondere die Relation zwischen dem Buchwissen und dessen Entwicklung und dem zugehörigen sozialen Kontext untersucht. Dabei standen vor allem die Funktion der Antikenaufnahmen, anthropologische und gesellschaftliche Konzepte und schließlich die Veränderung des Verständnisses von Wissen schlechthin im Mittelpunkt.

Lehrbücher und Lehrmittel

Obgleich der Befund unumstritten ist, dass die Lehrbücher als „single most important teaching tools“ der letzten 400 Jahre aufzufassen sind, stellte DanielTröhler (Zürich) heraus, dass wir kaum systematische Forschung darüber besitzen. Für die Frühe Neuzeit näherte sich AnthonyGrafton in seinem Einführungsvortrag („Textbooks and the disciplines“) der Form „textbook“ aus verschiedenen Perspektiven an: vom Inhalt her, seinem Wert als Facheinführung, seiner Zielbestimmung als Schulbuch, seiner Funktion als Vermittlung zwischen Student und Quelle und widmete sich schließlich seiner tatsächlichen Verwendung im Unterricht. Letztere verwies ihn auf das Problem des studentischen Lesens, das man sich anders vorzustellen habe als heutiges Lesen, wesentlich systematischer zum Zwecke des Übertrags von eigenen Notizen in Notizbücher. Er stellte heraus, dass jede der genannten Perspektiven heterogene Ergebnisse in Bezug auf die Grenzen der Gattung zulässt und Gegenbeispiele nach sich zieht, wie im Falle von Johann Hartliebs „Buch aller verbotenen Künste“ (1456), das zwar in einer der vorher besprochenen gängigen Formen des Lehrbuchs geschrieben war, jedoch sicherlich keinen Einsatz im schulischen Kontext fand. Graftons Problematisierungen machten deutlich, wie schwierig, aber auch historisch höchst interessant, die Aufgabe der Tagung war, indem sie sich vornahm, die akademischen Lehrbücher im sozialen Umfeld zu konturieren. Für Zürich konnte UrsLeu aus seinen Forschungen ein Ergebnis beisteuern, das vor allem die Buchproduktion betraf: Er wies nach, dass Lehrbücher mit einem Achtel der Gesamtproduktion einen der Schwerpunkte der Zürcher Buchproduktion des 16. Jahrhunderts ausmachten. Die erhebliche Bedeutung dieses Buchzweiges für die Verlagskalkulation lässt vermuten, dass die Käufer- und damit potenzielle Leserschaft der Zürcher Verlage zu einem erheblichen Anteil mit dem Unterrichtswesen zu tun hatte.

Detaillierte Erläuterungen erhielten auf der Tagung ferner folgende Formen des Lehrbuches: Schriften mit einführendem Charakter im Stile der Isagoge des Porphyrius wurden als idealtypische Werke für den Grammatikunterricht vorgestellt und problematisiert (AnthonyT. Grafton). Das Textgenre des Kommentars als Lehrform wurde anhand der Aristoteles-Kommentierungen der Physica und der Seelenlehre in den naturphilosophischen Fächern bei Federico Pendasio (1567) (SimoneDeAngelis, Bern), Frans Titelmans (1530) (DavidA. Lines, Miami/Villa I Tatti, Florenz) und der Nikomachischen Ethik bei Peter Martyr Vermigli (EmidioCampi, Zürich) besprochen. BarbaraMahlmann-Bauer (Bern) verglich vor dem Hintergrund der erasmianischen “Colloquia familiaria” die lateinischen Gesprächsbücher von Juan Luis Vives, Maturin Cordier, Sebastian Castellio und Jacobus Pontanus SJ miteinander und arbeitete heraus, wie die Schüler an religiöse Streitfragen herangeführt wurden, welche die dogmatische und kirchenpolitische Diskussion der Reformations- und Post-Reformationszeit beherrschten. Dann diskutierte WilhelmSchmidt-Biggemann (FU Berlin/Institute for Advanced Study, Princeton) die Form der Enzyklopädie als ‚systematisches’ Lehrwerk bei Johann Heinrich Alsted (1588-1638). Als Abhandlungen über das Lehren und Lernen gaben die Rhetorik- und Dialektiklehrbücher Melanchthons (VolkhardWels, Potsdam), die „Studiorum Ratio“ des Heinrich Bullinger (PeterStotz, Zürich) und „De ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius“ (1548) des Theodor Bibliander (Anja-SilviaGöing, Zürich) Auskunft.

NancySiraisi (New York) schob in ihrem Vortrag über „Girolamo Mercuriale (1530-1606) and the teaching of practical medicine“ den Analyseschwerpunkt von der Form zu deren Genese: Girolamo Mercuriales gedruckte Lehrbücher (1617-1631) basierten auf den unautorisierten Mitschriften seiner mündlichen Lektionen der 1570er und 1580er Jahre durch auswärtige Studenten. Diese Genese war nicht unüblich. AnnBlair beschrieb den Vorgang der zirkulierenden Vorlesungsskripte, die von Studenten mitgeschrieben waren, am Harvard College des 17. und 18. Jahrhunderts. Bis weit in das 18. Jahrhundert hinein waren Mitschriften die Träger eines Lehrtransfers im akademischen Feld. Sie wurden in Harvard etwa erst im 18. Jahrhundert durch die Drucklegung der Lehrveranstaltungen verdrängt. Ein Grund für die lange anhaltende schriftliche Überlieferung sieht sie in der kostengünstigen Herstellung: Autorisierte Mitschriften waren preiswerter als das Anschaffen von Lehrbüchern, vor allem für kleinere Klassen.

Mitschriften der Lehre waren jedoch nicht nur interessant als Mittler zwischen Lehrpraxis und Produktion eines Lehrbuches. Sie wurden auf der Tagung als eigenständige Form sozialer Praxis des Umgangs mit akademischem Unterricht dargestellt, die nach AnnBlair seit dem Mittelalter Parallelen in der Gerichtsschreibung und der Predigtüberlieferung besaß. AnnBlair stellte den qualitativen Unterschied zwischen Mitschriften und deren Überarbeitung zu Reinschriften heraus; vorwiegend letztere wurden in die Zirkulation geschickt. Reinschriften aus mehreren Mitschriften zusammengestellt sein. Ebenso erläuterte sie die Praxis, dass sich Studentengruppen zusammenschlossen, um rhythmisch oder nach Plan mitzuschreiben (August Hermann Francke: Schreibechor). Viele vor allem mittelalterliche Mitschriften sind nicht mehr erhalten, da sie auf nicht witterungsbeständigem Material, etwa Wachstafeln angefertigt worden waren. Durch den Vergleich von sieben Mitschriften unterschiedlicher Studenten der gleichen Lektion an der Universität Leipzig zu Beginn des 16. Jahrhunderts konnte JürgenLeonhardt (Tübingen) nachweisen, dass vor allem der alltagssprachliche Umgang in der Klasse geübt wurde. Antike Schriften ausgewählter Autoren wurden daher oft begleitet von Lehrbüchern als referierenden Vermittlern. Leonhardt rekonstruierte den Lateinunterricht in diesen Lehrbüchern über Mitschriften durch die Studenten. Die Mitschriften belegen über den Ablauf des Unterrichts hinaus die Auswahl an Klassikern, die noch einmal das Ergebnis bestärken: Es wurden jene Klassiker verwendet, die ihren Fokus auf alltägliche Sprechsituationen legten. Mitschriften zeigen auch eine Veränderung in der Auffassung von Wissensordnung: NancySiraisi belegte mit den zum Lehrbuch gedruckten Vorlesungsmitschriften eine Tendenz von autorenzentrierten Lektionen hin zu themenzentrierten Lektionen, die den Autoren eine eher vergleichend funktionelle Rolle bei der Behandlung von Wissensgebieten zuweisen.

Die Idee des Lateinlernens zur alltäglichen Verständigung wurde auch theoretisch in unterrichtsnahen Werken ausgebaut: PeterStotz führte aus, dass Heinrich Bullinger in seiner „Studiorum Ratio“ das System der drei heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch, Latein befürwortete. Die Korrespondenz zwischen den Textgenera der Heiligen Schrift und jenen der klassischen Literatur lässt nach seiner Interpretation auf eine Parallelführung der weltlichen mit der geistlichen Umgebung schliessen. Anja-SilviaGöing zeigte anhand von Theodor Biblianders „Ratio Communis“, dass Bibliander durch die vergleichende Bezeichnung von Dingen und Tatbeständen im Satzzusammenhang eine unmittelbare Verstehensbrücke zu anderen Sprachen schaffen wollte, seien es Umgangssprachen, seien es auch die gelehrten Sprachen der Antike. Durch den Zusammenhang von Grammatik und Theologie erwiesen sich Biblianders Überlegungen als fähig, grundlegende Orientierungen für theologische Lehrerörterungen und letztlich die Übersetzung und Auslegung der Bibel zu geben. VolkhardWels zeigte, dass die Rhethorik- und Dialektiklehrbücher Melanchthons Vorgänge beschreiben, die zu beobachten sind, wenn Menschen miteinander sprechen. Deshalb wurde der Begriff „dialectica“ jenem der Logik vorgezogen. Dabei wurden Entymeme zu alltäglichen Syllogismen, die Logik in eine Argumentationstheorie umgeformt. In alltäglicher Erscheinung haben Argumente immer eine rhetorische Form. Rhetorik ist in diesem Rahmen nicht hohe (Überredungs-) Kunst, sondern Eloquentia ist alltäglich notwendiges Vermögen, einem Sachverhalt den angemessenen Ausdruck zu geben. Eine Methodik anderer Art stellte GregoryB. Lyon (Zürich) mit David Chyträus „De lectione historiarum recte instituenda (1563)“ vor. Hier ging es um die Lehre der Geschichte im Anschluss an die Chronica Carionis des Philipp Melanchthon durch den Rostocker Professor. GregoryLyon ordnete die methodischen Überlegungen zur Universalgeschichte des David Chyträus in den Kontext der wachsenden Zahl historischer Lehrstühle an Universitäten des Alten Reichs ein.

Lehrbuchinhalt und Reflexion der Umwelt

Der inhaltliche Bezug zur sozialen Praxis gestaltete sich schwerpunktmäßig einmal durch die Aufnahme der Antike und zum zweiten durch anthropologische und gesellschaftliche Konzepte sowie Naturvorstellungen. Im Bezug auf die Aufnahme der Antike machte JürgenLeonhardt deutlich, dass im Unterricht besonders die aktive lateinische Sprachkompetenz gefördert wurde. PeterStotz stellte heraus, dass ein Charakteristikum der Zürcher Reformation in der Idee des Philologischen im Bereich der Übersetzung und Anwendung der drei heiligen Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein lag. Für die Naturphilosophie bemerkten sowohl DavidLines wie SimoneDeAngelis, dass Aristoteles immer noch der wichtigste Referenzautor in der Seelenlehre des 16. Jahrhunderts war – die Auseinandersetzung mit ihm jedoch einmal eine Restrukturierung seiner Themen in Lehrkompendien bei Frans Titelmans (1530) mit sich brachte (Lines) und die Grenzen der aristotelischen Lehren aufzeigte. So demonstrierte das Beispiel der Theorie des Sehens, warum die Mediziner Aristoteles folgten und welches die Argumente waren, die den Astronomen Johannes Kepler dazu brachten, ihnen mathematische Kompetenz abzusprechen und in der Optik (1604) neue Wissensansprüche zu formulieren (DeAngelis). Den zweiten systematischen Teil des Praxisbezugs bilden anthropologische und gesellschaftliche Konzepte sowie Naturvorstellungen, die im Lehrbuch oder über verwandte Medien vermittelt werden oder dessen Ordnung zu Grund liegen. JürgenOelkers suchte das Bild des Kindes im Lehrbuch des 18. Jahrhunderts auf und erweiterte damit den zeitlichen Rahmen der Tagung in die Neuzeit. Das aktive und verstehende Kind wird in Georg Christian Raffs „Naturgeschichte für Kinder“ (1793) gezeichnet, nicht aber in katechetischer Lehrliteratur für den Elementarunterricht. Auch die pädagogischen Werke und enzyklopädischen Einträge des 19. Jahrhunderts zielten, nach Oelkers Forschungen, eher auf das statische und rezeptive Kind als Empfänger ihrer Botschaften, das einfach auswendig lernen sollte.

HildegardElisabethKeller und HubertSteinke (Zürich/Bern) zeigten, dass die Anpassungen an das soziale Umfeld minimal waren: Die lateinische Übersetzung und das deutsche Original des Hebammenlehrbuches von Jakob Ruf (1554) stimmen zu 80 Prozent überein, obschon sie an unterschiedliche soziale Adressatenkreise gerichtet waren. Größte Abweichungen sind hingegen in der Anrede des idealen Lesers zu bemerken. Die lateinische Ausgabe, die an den Gelehrten gerichtet war, reduzierte emphatische, erzählerische und moralisierende Elemente. Der Leser wurde vom Akteur zum Beobachter. In der deutschen Ausgabe wurde die Leserin, die spätere Hebamme, stets mit „Du“ angesprochen. BarbaraMahlmann-Bauer führte aus, dass die Gesprächsbücher für den lateinischen Anfängerunterricht aus der Perspektive von mehr oder weniger wissbegierigen Knaben Kompetenzen für den geselligen Umgang und für lebenslanges Lernen sowie Strategien der Konfliktlösungen und -vermeidungen vermittelten. Bemerkenswert ist, dass sich die beiden römisch-katholischen und die beiden protestantischen Verfasser mit Rücksicht auf die jungen Schüler und ihre Lebenswelt mit den in der theologischen Kontroversliteratur sonst üblichen "Feindbildern" zur Charakterisierung der Glaubensgegner gleichermaßen zurückhielten.

Mit moralischen Fragen beschäftigte sich der Vortrag von JillKraye über Kaspar Schoppes stoische “Elementa” (1606): Schoppes Reformprogramm für katholische Schulen sah vor, die jesuitische ‚Ratio studiorum’ auf der Basis stoischer Moralphilosophie zu überwinden. Er befürwortete eine Lehrplanänderung und stellte die wichtigsten ethischen Doktrinen und Vorschriften des Stoizismus dar, indem er ramistische Diagramme verwendete. WilhelmSchmidt-Biggemann beobachtete, dass eine ‚Enzyklopädie’, die Johann Heinrich Alsted in einen Gesamtzusammenhang der Universität einbeziehen will, aus einer Ansammlung von Lehrbüchern besteht und dass Lehrbücher nach 1600 im Rahmen einer reformierten Universalwissenschaft in „Systemata“ zusammengeführt werden (z.B. Bartholmäus Keckermanns „Systema systematum“, 1613). Das Ziel ist, das Wissensgebiet einer Disziplin vollständig zu beschreiben. Der Enzyklopädiegedanke ist bei Alsted zudem mit seinem Zugang zur Geschichte und seinen heilsgeschichtlichen Erwartungen verknüpft: Es gibt biblische Prädikate (Bonitas bis Gloria), die sich mit der Dynamisierung der Welt nach dem Sündenfall irgendwann am Ende der Geschichte durchsetzen werden. Wissenschaftsgeschichtlich handelt es sich bei Alsted, verkürzt gesprochen, um einen Rumpfaristotelismus, der mit Ramus verbunden wird. So folgt die Darstellung der Disziplinen bzw. deren Wissenszweigen (z.B. die Mnemonik) dem ramistischen Muster (Dichotomisierungen, Tabellen). Wissenschaftstheoretisch geht es darum, leitende Begriffe einer Disziplin (z.B. die Ontologie) zu bestimmen. Seine Frage bleibt, ob dieses enzyklopädische Programm spätere naturwissenschaftliche Klassifizierungsprogramme im Stile Carl von Linnés „Systema naturae“ (1735) stimuliert hat. Im Bereich der Rechtssprechung konnte DonaldKelley (Rutgers University, New Brunswick) zeigen, dass die „Institutiones“ des Justinian als Modell im 16. Jahrhundert verwendet wurden, jedoch mit dem ciceronianischen Ideal des Redners und daher mit dem Fach Rhetorik verbunden werden. Dies gibt ihnen zunächst die Legitimation, in den studiahumanitatis mitgelehrt zu werden. Ende des 16. Jahrhunderts kam es zu einer Reform des juristischen Wissens, indem eine Methode für die Organisation der Themen gesucht wurde, die auch für die Lehre tauglich schien. Gleichzeitig fingen Überlegungen unter dem Einfluss ramistischen Denkens an, eine eigene juristische Logik zu entwickeln und man begann an anderen Schauplätzen, Gesetzessysteme zu vergleichen. Kelley führte aus, dass letztere beiden Entwicklungen zum modernen Rechtsdenken beigetragen haben.

Weiterführende Gedanken

Die detaillierte Arbeit an exemplarisch ausgesuchten Werken zeigte übergreifende Ergebnisse in zwei Richtungen, die einmal die Form und zum zweiten den Inhalt des akademischen Lehrbuches betrafen. Der Fokus der Referate auf Zürich, der gleichzeitig interdisziplinäre Ansatz und die Vergleichsuntersuchungen im Alten Reich und Padua ließen Vermutungen darüber laut werden, dass die herkömmlichen formalen Charakteristika durchlässig und offen betrachtet werden müssen, um dem Material gerecht zu werden. Es wurde klar, wie sorgfältige Recherche über Mitschriften und Unterrichtsgebrauch im jeweiligen sozialen Kontext notwendig ist, um ein Lehrbuch zu orten und richtig als solches klassifizieren zu können. Deutlich traten zwei inhaltliche Grundlinien zu Tage, die eine Systematisierung des Bezugs zur sozialen Praxis unterstützten: Einmal wurde Alltagssprache konstituiert und zum anderen wurde das Wissen antiker Werke reorganisiert und durch neue Ressourcen und Quervergleiche erweitert bzw. diskutiert. Im Extremfall führte diese Entwicklung um 1600 zur Formulierung neuer Wissensansprüche im Prozess der „Verwissenschaftlichung“ von Wissen. Für wissenschafts- und bildungshistorische Fragestellungen gab die Untersuchung von Unterricht und Unterrichtswerken im akademischen Bereich einige neue Perspektiven, etwa im Bereich der Sprachlehre, der Urteilsfindung sowie der medizinischen, juristischen und theologischen Sachkompetenz, die es lohnen würde auszubauen.Generell bot die Tagung in den Referaten und Diskussionen ein hohes wissenschaftliches Niveau, das auf die Präsenz von international renommierten Wissenschaftlern zurückzuführen ist, die ihrem Ruf gerecht geworden sind. Ein Tagungsband ist geplant, der in der Forschung über das Lehrbuch und die Darstellung und Vermittlung von gelehrtem Wissen neue Maßstäbe zu setzen verspricht.